Mein persönlicher Weg

Edith Kortmann

Mein Name ist Edith Kortmann, geboren und aufgewachsen im damals ländlich-bäuerlich geprägten Westfalen.


Meine Eltern zogen als ich ein Jahr alt war aus der Stadt aufs Land und wir Städter wurden mit viel Herz integriert in die bäuerliche Struktur des Dorfes. Nicht selten kam es vor, dass meine Mutter ihre Kinder morgens nicht im Bett vorfand, sondern im Kuhstall nebenan, angekuschelt an der Lieblingskuh.


Noch heute erinnere ich mich mit weitem Herzen an die bunten Blumenwiesen, an den zarten Duft in der Luft, den würzigen Geruch der wildwachsenden Kräuter, an die Kornfelder gesäumt mit rotem Mohn und blauen Kornblumen, an die vielen Wiesen mit knorrig-alten Obstbäumen, welche im Frühling ein wahres Blütenmeer hervorzauberten und die wunderschönen Buchenwälder mit ihrem lichtgrünen Blätterdach. Die vielen kleinen Gehöfte, auf denen eine bunte Vielfalt an Tieren zu finden war. Schweine, die im Schlamm suhlten und tiefe Kuhlen in den Weiden hinterließen.

Kühe mit Kälbern an der Seite, schwere gutmütige Kaltblüter, die geduldig eine zahlreiche Kinderschar auf ihrem Rücken erduldeten. Freilebende Hühner mit Küken, Enten, Gänse, die den Hof bewachten.

Hunde, die ihre Freiheit lebten und das ganze Dorf als Revier beanspruchen konnten. Klar musste es auch geteilt werden mit anderen, aber die Hunde untereinander verständigten sich auf ihre Weise und so gab es eigentlich nie ein größeres Problem. Katzen liebte ich in einer besonderen Weise. Ihr Wesen faszinierte mich. Dem Menschen nah und zugewandt und doch absolut autark. Später kam die Liebe zu den Pferden hinzu.

 

Ich wuchs mit sechs Geschwistern auf und lernte früh auf eigenen Beinen zu stehen sowie die Bedeutung, in einer größeren Gemeinschaft zu leben. Früh erschloss sich mir, wie unterschiedlich und einzigartig ein jeder von uns war. Ich lernte, was es bedeutet, füreinander da zu sein. Und ich lernte ebenfalls – allerdings erst später –, dass es Freiräume geben muss für die Entfaltung einer jeden einzelnen „Blume“.
Ich habe sehr viel gelernt in und mit meiner großen Familie. Heute kann ich dankbar sagen, dass jede Erfahrung, vor allem die schmerzhaften, lehrreich und kostbar war.

Um dem Trubel in meiner Familie zu entrücken, zog es mich immer wieder zu den Tieren oder hinaus in die bunte Blumenwelt. Stundenlang saß ich in den Wiesen, beobachte die vielen Schmetterlinge und was sonst noch so flog und krabbelte, oder kletterte auf einen alten Apfelbaum und verschwand in meine kleine Welt.
In diesen frühen Jahren meiner Kindheit spürte ich die große Liebe zur Natur und all ihren Wesen. Die Tiere, die Blumen und die Bäume waren meine Freunde und so war es für mich auch selbstverständlich, mit ihnen zu sprechen. Dabei vergaß ich vollends die Zeit und oft wurde eines meiner älteren Geschwister ausgesandt, mich zu suchen. Meine große kleine Welt damals war ein Paradies!

 

Doch irgendwann endete die Idylle abrupt, denn die Umstrukturierung der Landwirtschaft nahm unwiderruflich ihren Lauf. Die Artenvielfalt auf den Höfen verschwand, an ihre Stelle trat intensive Viehwirtschaft mit Spezialisierungen und Rationalisierung. Die bunten Blumenwiesen verschwanden, wie auch die rot-blauen Farbtupfer in den Getreidefeldern, die alten Obstbäume wurden gefällt.
Ich spürte einen großen Schmerz. In dieser Zeit wurde bereits der Grundstein gelegt für meine heutige Arbeit – doch dies habe ich erst viel später erkennen können.

Von nun an wurde der Wald mein neues Zuhause. Auf stundenlangen Ausritten mit meinem damaligen Pflegepferd zog ich singend durch die Wälder.

 

Mein weiterer Weg war alles andere als linear. Schulzeit – Studium der Tiermedizin – Berufsleben als praktische Tierärztin – waren gekennzeichnet von Umwegen. Ich scheiterte immer wieder an vorgegebenen Regeln, Dogmen und allgemein geltenden Lehrmeinungen – „Das macht man so…“, ist ein häufiger Satz, den wohl jeder kennt. Doch ich fragte mich nach dem Wofür. Es musste doch möglich sein, die weltliche Ordnung und Struktur zu vereinen mit der bunten Vielfalt an unterschiedlichsten Potentialen und deren individueller Entfaltung, so wie es jedem auf seine ureigene Weise entspricht. Ein Pinguin wird niemals fliegen können und ein Gänseblümchen nicht duften wie eine Rose – und doch sind sie einzigartig und vollkommen.
Doch was ich zunächst als Scheitern ansah, kann ich heute mit anderen Augen sehen.
Jede Erfahrung, jeder Umweg, jede Krise und Umbruchphase waren wichtige Bausteine und Chancen auf meinem Entwicklungsweg – als Tochter, Schwester, Schülerin, Frau und Weggefährtin, Freundin, Mitreisende, Ärztin, Entscheidungsträgerin und beständig Lernende. Erst sie haben mich wachsen und reifen lassen, haben mich erkennen lassen, was mir wirklich wichtig ist.
Und die Reise geht stetig weiter.


Was mich außerdem erfreut und inspiriert: lange Spaziergänge in der Natur, das Beobachten und Lauschen, Barfußlaufen – am liebsten im Regen –, Blumen aussäen und ihnen neugierig beim Wachsen zusehen, freies Tanzen und Musik, Fotografie, Klavierspielen, Malen, Yoga, Achtsamkeitsmeditation und am meisten die Strahlkraft von Menschen, die der Wahrheit ihrer Seele wahrhaftig treu sind.